Mit „Crime et Châtiment“ zeigte das Pariser Musée d’Orsay in diesem Jahr die von Robert Badinter und Jean Clair kuratierte Ausstellung zu Verbrechen und Strafe mit einer umfassenden Werkauswahl aus den Jahren 1789 – 1981.[1]

Die Sammlung künstlerischer, aber auch historischer Dokumente soll die Ästhetik von Verbrechen und Strafe aus zwei Jahrhunderten französischer Geschichte zeigen. Für das Banner zur Ausstellung wurde eine Studie in Öl von Théodore Géricault als Motiv gewählt[2]: Vor düsterem Hintergrund sind hier vom Körper getrennte Gliedmaßen aufgehäuft, ein gelblicher Haufen aus Händen und Füßen, in seiner Präzision der Pinselstriche fleischlich präsent. Dabei lassen die Überbleibsel menschlichen Lebens keinerlei Rückschluss darauf zu, ob es sich bei der Zerstückelung um eine Straftat oder deren Bestrafung handelt. Die körperliche Erfahrung des Schreckens bei der Betrachtung der Fleischstücke lässt den Schluss des Betrachters zu, dass es in der Konsequenz eigentlich keinen Unterschied gibt, dass Verbrechen und Strafe die gleichen grausamen Realitäten erschaffen.

(Abb. 1) Théodore Géricault. Étude de pieds et de mains. 1818-1819
                         (Abb. 1) Théodore Géricault. Étude de pieds et de mains. 1818-1819

Der deutsche Titel der Ausstellung ist dem 1886 erschienenen Roman „Schuld und Sühne“ von Fjodor Dostojewski entlehnt. Er schildert die Geschichte des St. Petersburger Jura-Studenten Raskolnikov von seiner Idee des perfekten Mordes bis zur Tat und deren Konsequenzen.

Die Übersetzung ist nicht eindeutig, der Originaltitel Преступление и наказание (Prestuplenie i nakazanie) ist nicht wörtlich übersetzbar. Während bei dem russischen Begriffspaar sowohl Rechtsdimension als auch moralischer Aspekt anklingen, fehlt der neueren Titelwahl „Verbrechen und Strafe“ der ethische Gehalt.

Auch im Französischen und Englischen beschreibt die Übersetzung („Crime et Châtiment“ bzw „Crime and punishment“) vor allem die juristische Unterscheidung bei der Ausübung menschlicher Gewalt, die die Ausstellung in all ihren Erscheinungsformen zeigen will. Es geht nicht um harmlose Delikte, sondern um jene Vergehen, die mit schweren Strafen bis zu Tod und Folter vergolten werden. Der Bestrafungspraxis liegt aber auch immer eine Rechtsauffassung zugrunde, die untrennbar mit der Frage nach der moralischen Legitimation einer Tötung einhergeht. Und die Todesstrafe, schreibt Albert Camus, „ist der vorsätzlichste Mord überhaupt, mit dem kein geplantes Verbrechen verglichen werden kann”.

 

„Schuld“ bezeichnet die menschliche Strafwürdigkeit, sie definiert sich vor allem über ihre Konsequenz, der Verpflichtung zu einer Gegenleistung[3]  oder Strafe. Die „Sünde“ ist die Verletzung des göttlichen Gebots, die durch „Buße“ vergolten werden muss. „Verbrechen“ als weltlicher Begriff ist das Übertreten Menschen gemachter Regeln. Die Todesstrafe wird dabei dadurch legitimiert, dass dieser Mord nicht von einem Individuum, sondern vom Kollektiv begangen wird. Der Weg in den Tod ist die Sühne des Schwerverbrechers, seine Auslöschung aus der Gesellschaft leistet die verlangte Vergeltung, seine Reue und die Bitte um Vergebung vor dem Ableben ist die einzige Hoffnung auf eine Versöhnung mit Gott[4]. Nicht umsonst war das Martyrium Christi, bzw. das Kreuz als dessen Symbol, bis ins 20. Jahrhundert in jedem Gerichtssaal zu sehen und wurde dem Todesopfer bei seinem Gang zum Galgen vor Augen gehalten.

 

  1. „Tu ne tueras point“

Der Beginn der Ausstellung führt uns in einen dunklen Raum, zum Ursprung des Verbrechens nach christlicher Überlieferung. Nach dem Sündenfall und der Vertreibung aus dem Paradies werden die Söhne Adams und Evas zu den Protagonisten des ersten Mordfalls der biblischen Geschichte und dem Verstoß gegen das (sechste) Gebot Gottes: Du sollst nicht töten!

Wir sind alle Nachkommen des mörderischen Kains, der als erster Mensch die Hand gegen seinen Bruder erhob. Dieser erste Raum – Tu ne tueras point – erinnert den Besucher an die größten der menschlichen Verbrechen gegen dieses sechste Gebot: Der Brudermord an Abel, der Königsmord, festgehalten durch eine Aquatinta des abgeschlagenen Hauptes von Louis IX[5], der Gottesmord in Form der grausam verbildlichten Passion des Erlösers bei der Kreuzigung[6] und schließlich der technisch realisierte, durchkalkulierte Genozid der Nazis als alptraumhafte Steigerung des Verbrechens gegen die Menschheit im 20sten Jahrhundert[7] sind in diesem Raum aneinander gereiht.

Pierre Paul Prud'hon - La justice et la vengeance divine poursuivant le crime. 1815-1818
 (Abb.2) Pierre Paul Prud’hon: La justice et la vengeance divine poursuivant le crime. 1815-1818

 

„Gerechtigkeit und göttliche Vergeltung verfolgen das Verbrechen“[8] leitet als erstes Gemälde  das Thema der Ausstellung ein. Hier ist eine allegorische Darstellung der Justitia zu sehen, die gemeinsam mit der Figur der in rot gekleideten Rache den flüchtenden Verbrecher jagt, der furchtsam auf sein nackt darliegendes Opfer zurückblickt und Mordwaffe sowie den Beweggrund seiner Tat, den ledernen Geldbeutel, unter seinem spärlichen Gewand zu verbergen sucht.

Dieses Werk kündigt einige Themen der großen Werkschau bereits an: Die angestrengte Suche nach dem Verbrecher und die Darstellung des geschändeten Opfers, dessen Leiche die Legitimation zu Verfolgung und Rache bietet. Die Nähe der göttlichen Gesandten zum Opfer – dem über einen Felsvorhang ausgestreckten Toten – zeigt sich auf gestalterischer Ebene darin, dass der gebeugt liegende Körper einen Bogen bildet, welcher in den Gewändern der göttlichen Gesandten wieder aufgegriffen wird. Justitia gilt als Versinnbildlichung der Gerechtigkeit, die alleinig und ohne Unterscheidung über das Strafmaß bestimmt und im Gemälde Prud’hons die Rache mit sich bringt. Sie steht direkt über der menschlichen Gerechtigkeit, welche sich als ausführende Instanz der himmlischen versteht.

Aber hat Gott nicht Anweisung gegeben, den Mörder nicht anzurühren? Diese Frage möchte auch Jean Badinter aufwerfen, Wortführer in den Diskussionen um Frankreichs Abschaffung der Todesstrafe unter Mitterand im Jahr 1981 und Initiator der Ausstellung im Musée d’Orsay[9].

Gott hat Kain mit einem Zeichen versehen, auf dass seine Schuld für alle und auf ewig sichtbar sei und ihn durch Reue und die Erinnerung an seine schreckliche Tat mit der Schwere seines Gewissens büßen zu lassen. Aber dem Menschen ist dies nicht genug, er will selbst Justitz und Rache verüben. Auch die gesellschaftliche, rituelle Bezeichnung des Täters, seine öffentliche Hinrichtung und die Darstellung seines schändlichen Todes ist Teil der menschlichen Gerichtbarkeit.

 

Der Mensch fürchtet sich vor dem Verbrechen, das scheinbar in jedem erwachen kann, er stellt es aber auch immer wieder bildlich dar. Er sucht einen Umgang mit den destruktiven Kräften, die ihn im Gegenüber, aber auch im eigenen Inneren beunruhigen und bedrohen – die Wissenschaft versucht ab dem 19. Jahrhundert den potentiellen Verbrecher schon vor der Tat zu erkennen, ihn auszusondern und von seiner “Mordlust” zu kurieren. Man versucht zunehmend, um die Strafe von der Mordtat des Verbrechers zu unterscheiden, mit Hilfe technischer Mittel möglichst sicher und human zu exekutieren. Die Zuhilfenahme der Technik distanziert Richter, Henker und die billigende Gesellschaft dabei von ihrer Tat; Guillotine und Gaskammer werden Teil des Strafsystems, ein scheinbar unumgänglicher Ort, an dem Verbrechen enden soll. Gleichzeitig ermöglichen diese Apparaturen erst die grausame Entartung menschlicher Zerstörungswut im Massenmord, zu der man auch die seriellen Enthauptungen zur Zeit der „Grande Terreur“ zählen kann.

 

III. „1791, La mort égalitaire“

Mit der französischen Revolution beginnt eine neue, humanitäre Form der Strafe. Das Objekt am Ende des ersten Raumes lässt es im Dunkel schon von weitem erahnen: Vor der Guillotine sind alle Verbrecher gleich, ob Räuber oder Regent, das Fallbeil unterscheidet nicht nach Stand; es gibt keine gesonderten Todesstrafen für den Adel mehr, wie die „ehrenvollere“ Enthauptung durch das Schwert statt dem schändlichen Galgen, und die Folter zum Tod wird abgeschafft.

 

Das schreckliche System der Todesmaschine erkennt man erst im ganzen Ausmaß, wenn man davor steht. Victor Hugo hat nicht umsonst behauptet, man könne nur so lange für oder gegen die Todesstrafe sein, bis man eine Guillotine bei der Arbeit gesehen habe. Die folgenden, chronologisch etwas stringenter gehängten Werke werden noch mehr von diesem Schrecken preisgeben, den die „Schwarze Witwe“, die seriellen Enthauptungen der Zeit der „Grande Terreur“ und das Blut auf den Pariser Strassen auf eine ganze Generation von Künstlern ausübte. Darunter auch eine Tuschezeichnung des großen Schriftstellers selbst[10], das die egalitäre Maschine und einen gespenstisch in Richtung des Betrachters aus dem Bild fliegenden Kopf zeigt. Darunter in blutigen Lettern, die zwischen den Pflastersteinen zerfließen, ein Aufruf: „Justitia“!

Victor Hugo
(Abb.3) Victor Hugo: Justitia. 1857

 

Vor der im Original aufgebauten Guillotine kommt es zu einer Irritation des Besuchers: Die Apparatur ist mit einem schwarzen Stoff behängt, der sie zwar leicht verhüllt, ihre Form und den tödlichen Mechanismus aber dennoch preisgibt. Folgt man dem Verständnis der Kuratoren, so weiß der belesene Besucher, dass die Maschine vor Hinrichtungen verhüllt wurde, um dem Opfer ihren Anblick zu ersparen. Einen gesonderten Hinweis hierzu gibt es aber nicht. Und ist wirklich davon auszugehen, dass die Guillotine in schwarzen Chiffon gehüllt wurde, der derartige Einblicke zulässt; wäre hierzu ein Leintuch nicht dienlicher? Wohlgemerkt, die Dokumentation zur Ausstellung zeigt die Witwe nackt.

 

Es geht bei dieser kuratorischen Entscheidung sicherlich nicht nur um eine getreue Wiedergabe der praktizierten Todesstrafe zu Revolutionszeiten, ihr Ablauf wird durch den Anblick der Appartur nur erahnbar. Vielleicht ist das Spiel mit dem Schleier vielmehr eine Andeutung des möglichen Lustgewinnes und der Ästhetisierung, die ein Mord ermöglicht – sei es durch eine staatlich legitimierte Enthauptung, die Präsentation des abgeschlagenen Kopfes vor der aufgebrachten Zuschauermenge,  oder die mediale Dokumentation und Konstruktion von Verbrechen.

 

Bemerkenswert ist, dass die Figur des Verbrechers viel öfter abgebildet wird als die des Geschädigten – sofern nicht beide im Moment der Tat zu sehen sind. Berühmte Verbrecher, besonders in Gestalt der „femme fatale“, einer Judith, Lady Macbeth, Charlotte Corday oder Violette Nozières inspirieren unzählige Maler und Schriftsteller bis heute.

Berühmte Opfer sind Märtyrer oder solche, die man dazu machen will, wie der ermordete Jean Paul Marat von Jean Jaques Louis David (1797).

 

  1. „Vers les temps modernes“

(Abb. 4) Henri Meyer, François-Louis Méaulle. Le drame des Ternes, Supplément illustré du Petit Journal
(Abb. 4) Henri Meyer, François-Louis Méaulle: Le drame des Ternes, Supplément illustré du Petit Journal

Andere Bilder zeigen das Opfer als widerwärtig entstellten, verdrehten, verstümmelten Körper, so wie in den Illustrationen des „Petit Journal“ (Abb. 4), oder im pechschwarzen Stich von Otto Dix[11] : Hier sieht man eine gefesselte, entweidete Frauenleiche, noch in Stiefeln auf dem Bett hingerichtet, zu ihren Füßen zwei kopulierende Hunde und eine umgestoßende Flasche. Oder aber die Leiche wird zum „cadavre exquis“: Unschuldig nackt, verführerisch hingestreckt, in der Szenerie der Todesstätte drapierte Körper wie bei René Magritte[12] oder den „photographies metriques“ des 20. Jahrhunderts, den polizeilichen Aufnahmen vom Tatort.

 

Das Opfer wird als Körper aufgefunden, vom Verbrecher will man vor allem den Kopf. Man sucht ihn nicht nur, um ihn abzuschlagen und der Menge sowie den Hinterbliebenen zu präsentieren. Man will diesen Kopf auch deutlich sichtbar auf öffentlichen Plätzen ausstellen. Man will ihn in Öl oder Tusche abbilden lassen, wie den Kopf des versuchten Königsmörders Fieschi (Abb.5), sofern man ihn nicht konservieren kann, will ihn in Wachs nachbilden, um Strafe und Schändung des Delinquenten in Erinnerung zu halten. Die Wissenschaft will in diesen Kopf hineinsehen, ihn vermessen und katalogisieren (Alphonse Bertillon), um den Sitz des Verbrechens zu lokalisieren und auszumerzen (Phrenologie nach Franz Josef Gall), dem Verbrechergesicht eine bestimmte Herkunft oder den Hang zum Wahnsinn nachzuweisen (Physiognomik nach Johann Caspar Lavater, der auch Alexander von Humboldt anhing).

(Abb. 5) Hugues Fourau. Tête décapitée de Fieschi. 1836
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Neben einem räumlich und farblich abgegrenzten, der Forschung Alphonse Bertillons gewidmeten Bereich zur Linken, umrundet von wissenschaftlichen Studien zur Gehirnfunktion in Schaukästen und den auf einer Trennwand knapp über unseren Köpfen aneinandergereihten „Büsten“ von Guillotinierten ist mitten im Raum in einer Vitrine Edgar Degas „petite danseuse“[13] platziert. Die etwa einen Meter hohe Bronzestatue aus der Sammlung des Musée d’Orsay ist eine Art Zwischenruf (vermutlich von Jean Clair initiiert), der uns daran erinnert, dass wir uns zwischen all den Objekten mit ihrer historischen Aura wie der Guillotine oder einer originalen Gefängnistür eigentlich in einem Kunstmuseum befinden. Gleichzeitig wirft die Positionierung der kleinen bronzenen Tänzerin in ihrem Tüllrock ein anderes Licht auf die Sichtweise Edgar Degas, von dem ebenfalls Studien zu Verbrecherphysiognomie und abgeschlagenem Kopf ausgestellt sind.

Edgar degas. Petite danseuse de 14 ans. 1865 – 1881
(Abb.6) Edgar degas: Petite danseuse de 14 ans. 1865 – 1881

Degas hat das Kind in adretter Ballettpose und mit erhobenem Haupt abgebildet, in seiner Gestalt vor dem Verbrechen. Es waren meist Mädchen aus ärmlichen Verhältnissen, die an der Pariser Oper tanzten und vielen blieb kaum eine andere Wahl als sich zu prostituieren. Die braune Hautfarbe, das breite Gesicht mit dem markant vorgeschobenen Kinn, der leere Blick des Mädchens und sein schmutzig wirkendes Kleidchen sollen Hinweis auf ihre Herkunft sein.

 

Das letzte raumfassende Objekt, das der Besucher passiert, bevor er ins Tageslicht entlassen wird, schafft einen der vielen literarischen Bezüge, die „Crime et Châtiment“ herstellt: Die imaginierte „Böse Schwester“ der Guillotine. Jacques Carelmanns drei Meter hohe „Maschine aus der Strafkolonie“ (1975) ist eine von Franz Kafka erdachte Tötungsmaschine, die dem auf einer beweglichen Metallplatte festgeschnallten Deliquenten sein Verbrechen zur Strafe mit langen Nadeln in den Körper schreibt.

In Kafkas Erzählung, für die man den Autor in der seinerzeit allgemein negativen Resonanz als „Lüstling des Entsetzens“ bezeichnete, wird einem Forschungsreisenden diese Erfindung und die stundenlange Marterung, die in Staub und glühender Hitze auch für alle Beteiligten eine Qual ist, voller Stolz präsentiert. Es ist eine Methode, bei der dem Angeklagten sein Urteil nicht verlesen wird, sondern er sein Vergehen erst durch dessen minutiöse Einschreibung in den eigenen Körper langsam erkennt. Da der Offizier der Strafkolonie die anwesende Menge nicht überzeugen kann, begnadigt er den Soldaten, legt sich selbst unter die Todesmaschine und stirbt zu den Worten „Sei gerecht“. Der befreite Soldat sieht dabei voller Rachlust der Agonie des Vorgesetzten zu.

 

Den Besucher des Musée d’Orsay, auf seiner Reise durch die Bildwelt aller Spielarten der Grausamkeit, wird durch diese Maschine daran erinnert, dass auch die Guillotine zur ihrer Zeit als Errungenschaft im Namen der Menschlichkeit betrachtet wurde. Sie erinnert auch daran, dass die aufgebrachte Menge zunächst den Galgen zurückforderte, weil man der Überzeugung war, der Verbrecher könne sich nur im qualvollen Todeskampf von seiner Schuld befreien. Und sie macht den Einfluss künstlerischen Schaffens all jener deutlich, die gegen die Todesstrafe eintraten. Der von der Bildfülle und dem Ausmaß der dargestellten Verbrechen am menschlichen Leben benommene Besucher verlässt die Ausstellung mit dem erleichternden Gedanken an die Abschaffung der Todesstrafe, die sich in Frankreich im nächsten Jahr zum dreißigsten Mal jährt. Er bleibt aber auch mit dem Wissen zurück, dass diese noch lange nicht in allen Ländern umgesetzt ist und nur ein erster Schritt war, um den tödlichen Kreis aus Verbrechen und Strafe zu beenden.

 

Fußnoten

[1]    „Schuld und Sühne“, Wechselausstellung im Musée d’Orsay vom 17. März bis 27. Juni 2010

[2]    Théodore Géricault: Étude de pieds et de mains, 1818-1819 (Abb. 1)

[3]    Gerhard Wahrig: Deutsches Wörterbuch. Bertelsmann Wissen Media Verlag GmbH, Gütersloh/München: 2002

[4]    Hier ist immer der jüdisch-christliche, strafende Gott gemeint, der seinen eigenen Sohn für die Vergeltung menschlicher Schuld opfert. Die Passion Christi, häufigste bildliche Darstellung des graumsamen Foltertodes, ist in der Tradition christlichen Glaubens eine der größten Wunden des menschlichen Gewissens, dient aber zugleich auch der Legitimation weiterer Hinrichtungen.

[5]    Villeneuve (Graveur): Matiere à reflexion pour les jongleurs couronnées. 1793

[6]    Nikolai Nikolaievitch Gay: Le calvaire (der Leidensweg). 1893

[7]    George Grosz: Cain ou Hiter en enfer. 1944

[8]    Pierre Paul Prud’hon: La justice et la vengeance divine poursuivant le crime. 1815-1818 (Abb. 2)

[9]    Jean Badinter im Interview mit „Le Figaro“. TTM éditions (Beaux Arts magazine): Paris, 2010

[10]  Victor Hugo: Justitia. 1857 (Abb.3)

[11]  Otto Dix: Assasinat. 1922

[12]  René Magritte: L’Assasin menacé. 1927

[13]  Edgar Degas: Petite Danseuse de 14 ans. 1865 – 1881 (Abb. 6)

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